Auf der Walz

Alfred Wettstein, geb. 1911, Rössliwirt und Metzger, Mett­menstetten, erzählt von seinen Wanderjahren in der schwierigen Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg in Deutsch­land, Frankreich und Italien: Quelle: „Was ich noch von damals weiss Neujahrsblatt GGA Affoltern 2001“

Wie es mein Vater getan hatte, wollte auch ich nach mei­ner Ausbildung ebenfalls auf die Walz gehen. Die zweieinhalbjährige Metzgerlehre hatte ich in Wald im Zürcher Oberland gemacht. Danach, mit 18 Jahren, ging ich nach Schaffhausen. Im Januar/Februar 1929 war es sehr kalt, 28-30 Grad unter Null, eine strenge Zeit. Im Frühling, als die Vögel pfiffen, hielt ich es nicht mehr aus und sagte mir: „So und jetzt haut de Wettstei ab“. Ich sagte zu Hause gar nichts, schickte meinen Koffer heim und behielt nur ein kleines Köfferli mit dem Notwendigsten bei mir. Mit dem Zug fuhr ich bis Rottweil, dann wurde marschiert bis Karlsruhe. Ich habe Arbeit gesucht, aber keine gefunden. Es gab halt bereits sehr viele Arbeitslose. Die Arbeitsuchenden mussten sich in einer Reihe aufstel­len und wurden gemustert wie Vieh. Die Hitlerjugend war bereits aktiv zu jener Zeit, und die Metzger getrauten sich nicht mehr, Fremde, vor allem aber Ausländer, einzu­stellen.

Dann gings weiter nach Strassburg, wo ich auf dem Arbeitsamt nachfragte: Ein Polizist drückte mir einen Stempel in den Pass mit einem französischen Vermerk, den ich nicht verstand, worauf er ihn mir übersetzte: „Darf in Frankreich keine bezahlte Stelle annehmen“. Trotzdem ging ich um Arbeit fragen, aber immer ohne Erfolg. Ich schlenderte in der Stadt herum, kam an einem Schlacht­hof vorbei und fragte auch dort nach Arbeit. „Ja doch, du kannst schon hier arbeiten“, wurde mir erwidert aber das war ein jüdischer Schlachthof und hier wurde geschach­tet! Zu Beginn merkte ich das gar nicht. Schächten ist in der Schweiz immer noch schwer verboten. Es hat mir grad gegraust wie hier gemetzget wurde. Bei uns ist man sich gewohnt, das Tier zu schiessen oder zu stechen, aber das Vorgehen, wie ich es hier mit ansehen musste, war nichts für mich. Ich blieb nur zwei Tage.

Dann ging ich an den Rheinkanal, half Kohlenschiffe mit Seilen ziehen. Arbeitslose konnten gegen ein Entgelt von einem Franken und einer Suppe pro Tag diese schwere Arbeit machen. Das verleidete mir aber bald und ich ging weiter. Ich kam an einer Kaserne vorbei, dort klopfte mir einer auf die Achsel und erkundigte sich, ob ich Freude habe am Militär, was ich bejahte. „Du bischt Schwitzger, du bischt Schwitzger, nicht wahr“, rief er in seinem elsäs sischen Dialekt, „Du bischt Metzger, gäll“. Irgendwie hatteer herausgefunden, dass ich Metzger war. „Komm ins Militär, in fünf Jahren bist du bereits Korporal“, aber darauf wollte ich mich nicht einlassen.

Ich kam fast ohne Geld nach Basel. Es war gerade die Mustermesse. Auch dort ging ich aufs Arbeitsamt, und sie sagten mir, dass Bell eben sechs Burschen einstelle, aber bis ich kam, waren alle Stellen vergeben. Ich schlich an der Mustermesse etwas um die Stände herum, hatte Hun­ger, degustierte hier eine Suppe, dort etwas Salami. So hatte ich wenigstens wieder etwas gegessen. Das Geld reichte nur noch zum Übernachten, dann war der Geldsäckel leer.

Dann traf ich wieder einen Mann, auch einen Metzger, der mich fragte, ob ich eine Stelle suche. „Geh nach Birsfelden, dort ist noch eine Stelle frei“. Er sei dort gewesen und der Meister habe gesagt er sei zu alt, er stelle ihn nicht mehr ein. So marschierte ich nach Birsfelden. Es war ein langer Weg, aber ich hatte ja kein Geld mehr für das Tram. Ich meldete mich bei diesem Meister und sagte ihm, dass ich einen Berner angetroffen hätte, der offenbar für diese Stelle zu alt sei. Der Meister aber klärte mich auf: „Nein, nein das ist nicht deswegen, sondern als ich ihm alles zeigte, ging er hinter mir her immer mit dem Stumpen im Mund. Das hat mir nicht gepasst, darum habe ich ihn nicht eingestellt“. Ich durfte bleiben und sofort mit der Arbeit beginnen und auch dort schlafen. Der Lohn betrug 120 Franken pro Monat, so dass doch manchmal am Abend ein Bierchen drin lag. Dort blieb ich bis in den Sommer hinein, dann ging ich heim nach Mettmenstetten. Anschliessend arbeitete ich kurze Zeit im Wallis.

Mit einem Kollegen ging ich dann erneut auf die Walz, diesmal nach Marseille und weiter nach Monaco. Auf der Hauptstrasse vor Monaco wurden wir von zwei Polizisten aufgehalten, die unsere Ausweise kontrollieren und uns einsperren wollten. Zum Glück hatte ich noch eine Fünfzig­frankennote, die ich aus den Hosen zog. „Ah, vous etes riche, bon voyage“ sagten sie darauf, klopften uns auf die Schultern und verabschiedeten sich. Es ging nach Genua und weiter nach Mailand. Geld hatten wir nicht mehr viel, schliefen unter den Bäumen in den Parks.

In Mailand besuchten wir den im Papierhandel tätigen Bühler, einen alten Mettmenstetter. Bühler war Präsident des Schweizer Vereins in Mailand. Er kam damals fast jedes Jahr nach Mettmenstetten mit seinem grossen schönen Auto. Als ich ihm erklärte, dass ich aus Mettmenstetten sei, war er hoch erfreut.

Er fragte uns, wo wir überall gewesen seien und wo wir übernachtet hätten. Wir getrauten uns nicht zu sagen, dass wir unter freiem Himmel logierten. Irgendwo auf dem Weg hatten wir mal ein Hotel «Zürich» gesehen und das erwähnten wir nun. Oh ja, der Hotelier sei ihm bekannt, antwortete er. Hätten wir doch zu erkennen gegeben, wie mausarm wir waren, er hätte sich sicher erkenntlich gezeigt. Mit diesem Bluff aber hatten wir nichts erreicht und nun auch keinen Franken mehr im Sack.

Zurückgekehrt trat ich im August 1930 eine neue Steile in Gattikon an, wo ich bis zur Rekrutenschule 1931 blieb. Nach dem Militär übernahm ich den Gasthof mit Metzgerei in Mettmenstetten von meinem Vater. Dem erwähnten Fabrikanten Bühler konnte ich jedes Jahr, einmal im Herbst, Blutwürste nach Mailand schicken. Ich brachte die heissen Blutwürste in einer mit Heu ausgeklei­deten Kiste auf die Bahn und schickte sie nach Chiasso, dort holte er sie ab und die Würste wurden noch am glei­chen Abend in Mailand verspiesen.»

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