Erinnerungen an die Dorflinde

Von Dölf Baur 1994 im Alter von 94 Jahren aus Sicht der Dorflinde geschrieben.

Anmerkung IG Dorfgeschichte: Die Sanierung 1994 half leider nichts, die 250jährige Linde musste 1997 gefällt und durch einen neuen Baum ersetzt werden.

An meine Freunde! Wisst Ihr noch, Ihr lieben Mettmenstetter und speziell Ihr Oberdörfler, dass ich auch noch da bin? Fast hätte geglaubt, Ihr hättet mich vergessen! Aber ohä lätz! Dieses Jahr, als ich mein Herbstkleid fallen liess, um meinen Winterschlaf anzutreten – ich bin bereits am Einnicken gewesen – kommen ein paar freche Gesellen und hantieren ziemlich grob an meinem alten Schuhwerk herum. Einer tritt mir auf meine grosse Zehe, die ich schon längst durch ein in meinem Wachstumsübermut durch das steinharte spröde Leder gestreckt hatte und lässt mich im Schmerz jäh auffahren. Es ist eine dreiste Anmassung, mich alten Gesellen noch so zu plagen. Aber diese Ruhestörer scheinen doch ernstliche Absichten mit mir zu haben. Jahrelang habe ich hier bei Sturm und Sonnenschein gestanden und nun ist wohl mein Sterbestündchen gekommen? Aber eine Axt oder gar ein Waldteufel haben sie ausser dem Brecheisen und Bickel nicht mitgenommen, sie fehlen bei den Quälwerkzeugen. Was wollen denn die Plaggeister mit mir? Aber so ungern hab ich‘s doch nicht – nach und nach wohlte es mir um meine Füsse. Oh, wie ist das schön, wieder einmal aus dem engen Schuhwerk heraus zu kommen und so recht verluften zu können. Die Wohligkeit lüftet meine Gedanken.

Eigentlich habe ich – wenn ich so zurückdenke, es werden ja schon anderthalb Hundert Jährchen sein – bei meinem Dasein im Oberdorf, im genannten Vorder-Rick viel gesehen und erlebt. Früher um die Jahrhundertwende waren es noch gemütliche Zeiten. Sehe ich noch den „Chäser Hansruedi“ in seinem hohen Alter mit seiner Zipfelkappe auf meinem dazumal noch schönen Schuhwerk hocken und mit ein paar Buben in witzigem Humor den Frühling betrachten. Hatte eben einen neuen grünen Anzug erhalten und wahrscheinlich aus diesem Grunde – es mögen auch andere gewesen sein – vermochte ich die kleinen „Oberdörfler-Lausbuben“ an mich zu locken, in die Schatten, die meine Rockzipfel warfen. Kindergruppen gab‘s, welche eifrig um die Wette spickten, bis die Mutter um die Scheunenecke schwirrte und etwa einen davon heim dirigierte. Aber Bubenbeine sind schneller und ehe Mütterchen nach Hause mag, flitzt der Gesuchte um das Spritzenhäuschen.

In einer nahen Schmiede zog der „Pure-Schang“ den alten Blasebalg, dass er quitschte, oder er schlug so kräftig auf das warme Eisen, dass mir stillem Träumer das Schlafen von selber ausging. Immer ein emsiges Völklein um mich herum. Wackere Bauersleute haben da ihr Dasein gefristet. Einer meiner Nächsten – ich mag mich noch gut erinnern – durfte alle Morgen und Abende zufrieden mit dem Pfifeli im Mund sein Milchkessi zur Hütte tragen. Wenn der „Jösli-Heiri“ mit dem Rebschäubli unterm Arm und dem schwarzen Käppii auf den grauen Seidenhaaren seinem Obdach zusteuerte, war es alle-mal Zeit zum Essen. Es gab auch Tage in der Woche, wo ein behäbiger strammer Mann – es war der “ Botjokebe-Albert“ durch das Wegli beim Schang und Glaser Berger herab kam, um seine Heimat in wichtigen Geschäften mit Würde zu vertreten. Selbst ein fleissiger Sattler, den ich letzthin ungern ziehen sah, tat sich tüchtig mit dem Lederzeug um.

Der alte “ Berli“, der sein nötiges Wasser noch beim nahen Dorfbrunnen – der leider glaube ich zu den Unterdörflern desertiert ist – holen musste, gab den Kindern das vertraute „Danki Gott“, wenn sie ihm höflich „das Zeit wünschten“ oder etwa den Kessel tragen halfen. Ja, das waren noch Zeiten, – ist es heute noch so -?

Oh, ich gäbe viel darum, wenn ich dem ”Tätsch-Schiessen“ noch einmal zusehen dürfte. Aber solches kommt nicht mehrl Aber es war halt doch schön, meint Ihr nicht auch, Ihr Oberdörfler, die Ihr schon graue Haare tragt und schon als kleine Bürger meine starken Beine umsprangen. Ich bin ein Träumer und bin in Gedanken in liebe alte Zeiten zurückgewandert, was man im Alter gerne tut. Inzwischen bin ich den Zweck des Hantierens der Maurergesellen bewusst geworden. Bis ich meine Träume gesponnen habe, haben sie mir bei wackerer begeisterter Arbeit ein neues Schuhwerk vollendet und der Zehe verständnisvoll wieder ein Loch reserviert, dass sie sich ungehindert darin bewegen kann. Es fehlen nur noch die Schuhbändel. Hoffentlich haben sie am Gotthard das Rohmaterial nicht schon rationiert, dass dem neuen Kleidungsstück die schützende Krone aufgesetzt werden kann. Das war wieder einmal eine, feine Idee, hat es befohlen wer will. Es ist einfach nobel, im hohen Alter noch so schöne Schuhe zu erhalten und wenn es auch ein Mäuerchen ist.

Hoffentlich darf ich, Euch zum Dank, so Gott will, noch recht viele Jahre, bei guter Gesundheit Lindenbluest schenken und dem heimkehrenden durstigen Heuer den verdienten Schatten spenden. Habt Dank für Eure liebe Aufmerksamkeit, Eure alte Dorflinde.

Alt si.

O alt si, o alt si, wer weiss, was’s bidüt ?
Nu churzi Schrittli und langi Zit.

Vum Jaste dur’s Läbe gar müedi Bei,
Es Hämpfeli Sorge-n- und vil ellei.

Es Gspräng um ein ume, es lüütet im Ohr,
Wie chund eim alles so nütelig vorI

En Schleier um d’Auge, es dimberet scho,
Zäntume wott’s böse, magsch niene meh gcho.

Chum sä, i hä-n-öppis, das git wieder Muet I
Es Aerfeli Liebi, wo Wunder tuet.

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